Das Schloss in der Sünfte Fortsetzung

von Leo Weismantel im Jahre 1964
 
Schloss in der Sünfte - Denkmal am Rastplatz Obersinn Richtung Jossa
Denkmal (Bild: S. Winkler)
Nun lebt im Hause meiner Eltern eine Schwester meiner Mutter, eine arme Witwe, deren Mann früh im Walde beim Fällen eines Baumes von Geäst einer stürzenden Eiche erschlagen worden war, so dass sie in große Not geriet. Meine Eltern nahmen sie auf, sie bekam die Obhut über mich. Wir nannten sie „das alte Bäschen“, das war von einer unsagbaren, überirdischen Güte. Es wusste auch wie oft ich an die verwunschenen Jungfrauen des versunkenen Schlosses in der Sünfte dachte.
 
Es war an einem Sommertag, die Sonne lag heiß brennend auf der Erde, da sagte das gute alte Bäschen, es müsse in die Sünfte. Es wolle mich mitnehmen und mir den See zeigen, in dem das verwunschene Schloss lag. Es holte eine Reuße herbei, stellte mich kleinen Knaben hinein. Ich war gerade so groß, dass ich oben aus der Reuße schauen konnte.
 
Die Reuße nahm das gute Bäschen auf den Rücken und trug mich vom Hof meines Elternhauses an Kirche und Friedhof vorbei den Hartberg empor gegen Osten über den Gipfel des Berges und verschwand mit mir in dem dichten Wald. Dann ging es jenseits gegen Osten wieder zu Tal, bis wir mitten im Wald an einen Teich oder See kamen: wir waren in der Sünfte. Ja, da waren wir.
 
Da sagte das Bäschen, es wolle mich in die Arne nehmen und über die Wasser halten. Die Wasser seien so klar, so könne ich in die Tiefe schauen, bis zu dem Schloss. Vielleicht, wenn die Sonne, die gerade über uns stand, in die Tiefe leuchte, könne es sein, dass ich selbst das Schloss, vielleicht gar die drei verwunschenen Jungfrauen sähe. Nicht alle sähen das, - nur solche, die an einem goldenen Sonntag geboren seien, das aber sei ich. Ich sollt aber meine Ärmchen fest um ihren Hals schlingen, dass ich nicht hinabstürze, wenn ich etwas sähe, was mich erschrecke.
 
Und so nahm mich das gute Bäschen in seine Arme und hielt mich über die Wasser des Sees. Erst waren die Wasser milchig trübe, aber dann drang die Sonne durch, mein Herz pochte, dass ich seinen Schlag zu hören meinte, da plötzlich klärte sich das Bild auf, ich sah das Schloss, sah die drei Jungfrauen auf dem Balkon und sie blickten zu mir empor, streckten die Hände nach mit aus, dass ich sie erlöse. Ich aber erschrak so sehr, dass ich meine Ärmchen fest um den Hals des guten Bäschen schlang, mein Gesicht an seiner Brust verbarg und jämmerlich zu weinen anfing.
 
Da trat es vom Ufer zurück, setzte sich ins Gras, hielt mich in seinem Schoß, drückte mir eine alte Brotkruste in das Händchen, das war Hasenbrot! Das alte Bäschen pflegte, sooft es aus einem Wald kam, solch trockene Brotkrusten mir mitzubringen, die es den Hasen abgejagt haben wollte. Es war ein Zauberbrot, ich knabberte daran, darüber wurde ich still und hörte auf zu weinen
 
Ich war wohl das letzte aller Kinder von Obersinn, das das Schloss in der Sünfte, den See und die drei verwunschenen Jungfrauen so noch gesehen hat! Als ich später den See noch einmal suchte, war er nicht mehr zu finden. So weiß denn außer mir auch im Dorfe Obersinn niemand mehr, was es mit dem Schloss in der Sünfte auf sich hat.
 
Was aber hat die Sage von Schloss in der Sünfte uns heute noch zu sagen?
Es ist eine der sinnvollsten und über die Jahrtausende gültigen Sagen des christlichen Abendlandes, sie kündet vom Zwiespalt der Menschen. Da die Reichen, Mächtigen die die armen, hungernden Völker ausbeuten und ausschweifende Feste feiern, während die Massen, die sie unterworfen haben, hungern, verhungern, in Not und Armut verkommen.

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Autor: Prof. Dr. Leo Weismantel
Texterfassung: Hermann Winkler, Sören Winkler, Lioba Zieres

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