Das Schloss in der Sünfte Fortsetzung

von Leo Weismantel im Jahre 1964
Schloss in der Sünfte - Denkmal am Rastplatz Obersinn Richtung Jossa
Inschrift (Bild: Sören Winkler)

Also hört:
Noch vor 150 Jahren sah das „Notstandsgebiet“ der Rhön ganz anders aus als heute. Das liebliche Tal der Sinn war damals noch Sumpfgebiet, keine Straße führte durch dies Tal, die Hochstraße, über welche der große Verkehr von Venedig über Augsburg – Nürnberg – Würzburg über die Rhön nach den großen Hansestädten der Ost- und Nordsee führte, zog nicht durch dies versumpfte, mit Urwäldern bedeckte Tal, sonder über die Höhe der Berge. Die Dörfer der armen Weber, Holzhauer, Kohlenbrenner, Steinmetzen lagen wie Ameisenhaufen des Lebens an den Talhängen.

Noch waren die Winter voller Kälte. Durch Monate waren die Dörfer eingeschneit. Im Schnee gruben sich die Menschen zum Sterben, musste der Pfarrherr durch die Kamine der Hütten in die Stube des Sterbenden hinabsteigen. Die Toten blieben den Winter über in ihren Särgen in der Bodenkammer, dort sammelte sich das Volk an den Abenden zu schwermütigen Gebeten und Liedern, bis im Frühjahr nach der großen Schneeschmelze alle Toten des Winters auf einmal begraben wurden. Sonst saß das Volk beim Kienspanlicht, bei Webstuhl und Spinnrocken beisammen. An solchen Abenden ging ein Erzählen von alten Sagen um und da wurde auch die Sage vom Schloss in der Sünfte erzählt. Von dorther habe ich es.

Nun dann als Kind war ich Zeuge der letzten Spinnstuben im „Speicher“ meines Elternhauses stand noch der Webstuhl vom „Herrle“, dies war einer meiner Großväter, der vom 27ten bis 92ten Jahr seines Lebens in diesem „Marterholz“ gesessen war und von dem die Sage ging, er habe zukünftige Dinge, habe Menschen, die noch lebten, auf der Totenbahre, habe zukünftige Kriege vorausgesehen. An solchen Abenden, die dann während meiner Kinderjahre versanken, hörte ich als einer der Letzten von der Sage dieses Schlosses in der Sünfte.

Da wurde erzählt:
In alter Zeit, als das Tal noch voller Sümpf und Seen war, stand in der „Sünfte“ ein Schloss, es stand mitten im See auf einem Felsgrund, der aus den Wassern herausragte. Die Dörfer rundum waren drei Jungfrauen zins- und steuerpflichtig. Die drei Jungfrauen lebten in Saus und Braus, zogen aus edlen Ständen Liebhaber herbei und führten in Schlemmerei und Zechgelagen ein Sündenleben zwischen all den Dörfern der Armen und Hungernden.

Als sie eines Tages wieder ein solches Lasterfest feierten, es war eine große Hungersnot im Lande, kam das Volk von Obersinn, die Alten, Greise und Greisinnen, Männer und Frauen, junge Burschen und Mädchen und Kinder zu jenem See, in dessen Mitte das Schloss in der Sünfte stand.

Da standen sie rundum, ausgemerkelt bleich und zitternd vor Hunger, aus dem Schloss aber drang die Musik der Geiger und Flöten und Posaunen, das Gestampfe und der Jubel der Tanzenden. Schließlich kamen die drei sündhaften Jungfrauen mit ihren Tänzern und Kavalieren auf einen Balkon, der über den Wassern des Sees hing, sie sahen die Armen, die Hungernden, lachten und ergötzten sich an diesem Anblick des Elendes und ließen dann Körbe weißer Brote herbei tragen und warfen die Brote hinaus in den See und riefen den Hungernden zu: „ Fangt! Fangt! Wenn ihr Hunger habt, lauft über die Wasser des Sees und fangt auf das Brot!“ Die Hungernden aber standen starr vor Entsetzen, sie sahen die Brote, sie sahen den Frevel, sie standen da wie erstarrt.

Da nun geschah es, dass aus der Tiefe des Waldes eine fremde Bettlerin kam, plötzlich stand sie am Ufer des Sees, dann schritt sie in das Wasser und die Wellen trugen sie und alle die das sahen, erschraken, dass sie bei diesem Schauspiel, das jetzt geschah, kaum zu atmen wagten. Die märchenhafte Bettlerin fing die Brote auf, las die Brote auf, die auf dem Wasser schwammen und warf sie den Hungernden, die am Ufer standen, zu.

Die sündhaften Jungfrauen, obwohl vor Schrecken und Entsetzen starr, warfen immerzu das Brot in den See, die Bettlerin fing die Brote auf und stillte den Hunger der Armen! Und als der Hunger der Armen gestillt war, ging die Bettlerin in die Mitte des Sees, hob ihre Hand drohend gegen das Schloss der Frevler, da fielen die Lumpen, in die sie gehüllt war, von ihrem Leib, das Aussehen der alten Bettlerin verwandelte sich, da wurde sichtbar: in überirdischer Herrlichkeit zeigte sie sich jetzt in ihrer wahren Gestalt: es war die mütterliche Königin des Himmels und der Erde, sie drohte Frevlern, die das Gottesgeschenk des Brotes geschändet hatten, sie erhob sich über die Erde, ein Donner rollte vom Himmel, in dem die Heilige sich erhob, die Erde begann zu beben, das Volk von Obersinn floh vor Schrecken in den Wald und die noch einmal zurück blickten, sahen, wie der Fels auf dem das Schloss in der Sünfte stand, sich spaltete, das Schloss mit den drei Jungfrauen und ihren Spießgesellen in die Tiefe eines Abgrundes versank und die Wasser die tiefe Schlucht füllten und Wolkenbrüche des Himmels die Grube dieses furchtbaren Grabes schloss.

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Autor: Prof. Dr. Leo Weismantel
Texterfassung: Hermann Winkler, Sören Winkler, Lioba Zieres

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